Urbane Ansichten und ein Streifzug durch Lichtenberg

Berlin fasziniert – früher wie auch heute. Dabei lohnt nicht nur die klassische Städtetour entlang des Brandenburger Tors und der goldenen Else. Gerade die unterschiedlichen Bezirke der Hauptstadt laden Touristen und Einheimische gleichermaßen auf eine einzigartige Entdeckungsreise mitten durch die facettenreiche Großstadt ein. Für die urbane Fotografie bieten sich aber nicht nur die hippen Kieze in Kreuzberg und Friedrichshain an. Auch die Bezirke jenseits der Ringbahn haben viel zu bieten. Lichtenberg ist hierfür der beste Beleg. Zwar ist das ehemalige Arbeiterviertel hauptsächlich für seine Platten- und Industriebauten bekannt, aber der Bezirk hat viel mehr zu bieten: So entstand am Obersee zwischen 1932 und 1933 mit dem Haus Lemke beispielsweise eines der bekanntesten Bauwerke des Künstlers und Architekten der neuen Sachlichkeit, Ludwig Mies van der Rohe.

Zudem hat sich der Bezirk nicht erst in den letzten Jahren zu einem Magneten für Kreative entwickelt. Ehemalige Nutzbauten wie die städtische Fleischerei oder das Bahnbetriebswerk wurden hier kurzerhand mit neuem Leben und zeitgenössischer Kunst gefüllt. Somit stellt Lichtenberg ein gelungenes Beispiel für vielseitige urbane Lebensräume dar.

Jetzt wird es amtlich

Zunächst ein wenig Sachkunde: Ein Bezirk stellt in Berlin eine Verwaltungseinheit dar. In Berlin gibt es insgesamt 12 Bezirke. Lichtenberg ist mit 294.201 Einwohnern der siebtgrößte Bezirk Berlins und hat in etwa so viele Einwohner wie Augsburg. Unterhalb dieser Ebene gibt es wiederum Ortsteile (offizielle Verwaltungseinheit) und Kieze (keine offizielle Verwaltungseinheit, sondern ein oftmals identitätsstiftender kleiner Kosmos, in dem Berlinerinnen und Berliner leben, feiern, schlemmen, arbeiten und einkaufen). In Lichtenberg gibt es 10 Ortsteile und diverse Kieze, die ich an dieser Stelle nicht alle aufführen möchte.
Geografisch grenzt der Bezirk im Osten an das hippe Samariterviertel (Friedrichshain) und zieht sich im Nord-Osten bis zur Berliner Stadtgrenze.

Das Einfalltor nach Lichtenberg: Die Landsberger Allee

Die Landsberger Allee beeindruckt bereits durch ihre Dimensionen. In einer Länge von 11 Kilometern, schlängelt sich die riesige Straße über die Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg, Pankow und Lichtenberg bis nach Marzahn- Hellersdorf. Dabei verändert die Landsberger Allee ihr Gesicht von Stadtteil zu Stadtteil: Entlang der Straße stehen viele für Lichtenberg charakteristische Hochhäuser bzw. Hochhaussiedlungen.

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Hochhäuser und Restaurants säumen die Landsberger Allee.

Aber die Landsberger Allee sollte keinesfalls auf die „Platte“ reduziert werden. Das Velodrom, ein futuristischer Bau für Sportveranstaltungen sowie die grüne Lunge des Bezirks, der Volkspark Friedrichshain, sind ebenfalls direkt an der Landsberger Allee gelegen.
Auch wer sich einen Überblick über die Diversität Lichtenbergs verschaffen möchte, kommt an der Landsberger Allee nicht vorbei, da die querenden Straßen oftmals direkt ins Herz der jeweiligen Kieze führen. Es finden sich also entlang der gesamten Straße, interessante Motive für die urbane Fotografie.

Brutalism

Die vielen Plattenbauten Lichtenbergs wirken auf den Beobachter oft ungewohnt, vielleicht sogar irritierend. Auch wenn die Plattenbauten formal nicht dem Architekturstil Brutalism zuzuordnen sind, gibt es gewisse Parallelen. Ebenso wie im Brutalismus, sind die Großsiedlungen aus der DDR Zeit primär rational gestaltete Wohneinheiten und die funktionalistischen Bestrebungen sind klar erkennbar. Lediglich die architektonischen Ambitionen der DDR Siedlungen sind stark begrenzt.

Neu-Hohenschönhausen ist einer dieser Ortsteile, der in der DDR-Ära am Reißbrett geplant wurde.

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Brunnen der Jugend in Neu-Hohenschönhausen.

Eine vergleichbare urbane Umgebung findet sich im Ortsteil Fennpfuhl. Rings um den Anton-Saefkow-Platz entstand in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts eine weitere DDR Großsiedlung. Seit dieser Zeit scheint sich nicht viel verändert zu haben. So viel Ostalgie, findet man in Berlin nur schwerlich.

Bauhaus

Im Gegensatz zu seinem Namensvetter Neu-Hohenschönhausen, ist Alt-Hohenschönhausen historisch gewachsen. Bereits seit Anfang der 1930er Jahre zogen vornehmlich Künstler und Kreative in das energiegeladene Villenviertel am Orankensee, dass von den beiden Seen Oranken- sowie Obersee geprägt ist. Die vielen Einzelhäuser, Parks und Seen des Viertels stehen im krassen Gegensatz zu den urbanen Räumen von Neu- Hohenschönhausen und Fennpfuhl.

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Das Mies von der Rohe Haus, eingebetet in die Natur. Gesehen von der gegenüberliegenden Uferseite.

Besonders prägnant ist das direkt am Obersee gelegene Mies von der Rohe Haus (auch als Haus Lemke bekannt), dass 1933 im Bauhaus-Stil errichtet wurde, also vor allem eine praktische und schnörkellose Form in den Vordergrund stellt. Heute dient das Haus als Museum und kann besichtigt werden.

Alt-Hohenschönhausen bietet aber nicht nur Idylle, hier finden sich auch viele Lost Places, wie beispielsweise entlang der Gehrensee-/Wollenberger Straße. Das Gelände diente früher als Wohnheim für vietnamesische Vertragsarbeiter der DDR.

Spione

Berlin wird gerne als Stadt der Spione bezeichnet. Das liegt natürlich an der Geschichte der ehemals geteilten Stadt und oftmals wird der Bezirk Mitte mit dieser Begrifflichkeit assoziiert.

Dabei ist Lichtenberg aus historischer Sichtweise, das einstige Stasi-Machtzentrum Berlins. Im Bereich der Rusche-, Normannen- und Magdalenenstraße hatte das Ministerium für Staatssicherheit, der Inlandsgeheimdienst der ehemaligen DDR, fast 40 Jahre seinen Dienstsitz. Heute befindet sich hier die Forschungs- und Gedenkstätte Normannenstraße.

Unweit hiervon, unterhielt das Ministerium für Staatssicherheit eine Untersuchungshaftanstalt. In dem Gefängnis wurden vor allem politische Häftlinge arretiert. Heute befindet sich auf dem Gelände die Gedenkstätte Berlin Hohenschönhausen.

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Wohnen mit Blick auf die verwaisten Wachtürme in der Lichtenauer Straße.

Der Gebäudekomplex ist noch recht gut erhalten, daher wirkt es etwas irritierend, dass die Mauern und Wachtürme vis-à-vis von akkuraten Einfamilienhäuser stehen.
Auch die ehemals größte KGB-Auslandszentrale hatte seinen Sitz in Lichtenberg.

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Ehemalige KGB-Zentrale in Berlin Karlshorst.

Das weitläufige Gelände des sowjetischen Geheidienstes, im Volksmund auch „Berliner Kreml“ genannt, war ein streng abgeschirmter militärischer Sicherheitsbereich. Heute dient das Gelände an der Zwieseler Straße als Wohnquartier mit Eigentumswohnungen und Reihenhäusern.

Kleinode

Auch diverse Kleinode tragen dazu bei, dass Lichtenberg für die urbane Fotografie außergewöhnlich viel zu bieten hat. Etwas versteckt, zwischen der Landsberger Allee, der Rhinstraße und einer Kleingartenkolonie, steht die Philippuskapelle der Landeskirchlichen Gemeinschaft Hohenschönhausen.

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Die Philippuskapelle nimmt man erst auf den zweiten Blick wahr.

Die kleine Kapelle wirkt an ihrem Standort etwas verloren, bietet aber einen schönen Kontrast zu den umliegenden Gebäuden.

Ebenfalls bemerkenswert ist Berlins größter Asiamarkt, das Dong Xuan Center. Hier kaufen vor allem Großhändler ein. Mit seinen vielen Lebensmittelläden, Friseur- und Tattoo-Studios, Restaurants und Cafés entsteht der Eindruck ein autarkes Viertel betreten zu haben.

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Im Dong Xuan Center ist immer was los. Eine tolle Location für jeden Streetfotografen.

Auf Grund des emsigen Treibens, eignet sich das Dong Xuan Center ideal für die Aufnahme intensiver Streetfotos

Where the streets have no name. Zumindest die Namensgebung der Straßen erinnert ein wenig an New York.

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Fast wie in New York: Namenlose Straßen in Lichtenberg.

Dabei beschränkt sich die aus deutscher Sicht skurrile Namensgebung nicht auf Straßen von Kleingartenkolonien, sondern diese Namensgebung findet sich an vielen Stellen Lichtenbergs.

Tschüss, Berlin

Etwa 100 Meter vor der Grenze zu Brandenburg, lädt der letzte Biergarten Berlins zum Verweilen ein.

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Auch Biergärten finden sich in Lichtenberg


Das letzte Haus Berlins, grenzt direkt an ein Brandenburger Feld. Führt man sich nochmal vor Augen, dass die Reise quer durch Lichtenberg am hippen Samariterviertel begonnen hat, veranschaulicht das nochmal die Größe und Vielfalt Lichtenbergs. Bei den Beobachtungen ist deutlich geworden, wie sehr soziale Prozesse und politische Ereignisse die Erholungs-, Lebens-, und Wohnqualität von Menschen beeinflussen können.

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Tschüß Berlin, Hallo Brandenburg!

Von Plattenbauten über Villen am Orankesee und moderne Bauten im Bauhaus-Stil bis hin zu ehemaligen Stasi-Komplexen vereint Lichtenberg alles, was das Herz begehrt. Und gerade in puncto Architektur kann kaum ein anderes Stadtviertel mit diesem Bezirk mithalten. Kein Wunder also, das sich ein Ausflug nach Lichtenberg vor allen Dingen für Liebhaber der urbanen Fotografie lohnt.

Weiterführende Links

 ► Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen

https://www.stiftung-hsh.de

► Forschungs- und Gedenkstätte Normannenstraße

https://www.stasimuseum.de

► Noch mehr urbane Ansichten aus Lichtenberg

https://streetwise.photography/project/urbane-fotografie-berlin-lichtenberg