Einführung und Konzepte

Beim Storytelling geht es um das Erzählen von Geschichten. Das funktioniert mit einer Kamera genauso gut, wie mit einer Leinwand oder einem Buch. Storytelling kann auch als Konzept zur Schaffung von Fotografien verstanden werden, die besonders lebendig wirken und aus der Bilderflut herausstechen.

Das klassische Konzept der Street Photography ist kein Konzept zu haben. Der Flaneur wandert mit offenen Augen durch die Straßen und hält Momente fest, die er für relevant hält und die sich schnell verflüchtigen. Straßenfotografen Konservieren und Dokumentieren, was andere nicht sehen. Das ist die Umschreibung des berühmten Decisive Moment, wie er beispielsweise von Cartier-Bresson geprägt wurde. Dieser besondere Moment wird oftmals in einem Einzelbild festgehalten in dem der Zufall Regie geführt hat.

Street Photography kann aber auch als Serie angelegt werden, indem beispielsweise ein bestimmter Ort über einen längeren Zeitraum betrachtet wird. Harvey Stein ist ein bekannter Vertreter dieser Arbeitsweise. Stein hat beispielsweise fünf Jahrzehnte das Leben und den Trubel von Coney Island dokumentiert.

Es ist auch möglich, den Zufall auszublenden und eine Geschichte (teilweise oder vollständig) zu inszenieren. Der Fotograf ist dann Drehbuchautor, Kameramann und Regisseur in einer Person. Hier kann Clarissa Bonet als Beispiel dienen, die in ihrer Wahlheimat Chicago Streetfotos so arrangiert, wie sie zunächst in ihrem Kopf entstanden sind.

Die Frage, ob inszenierte (Straßen-)Fotografie noch Street ist, soll an dieser Stelle nicht vertieft werden. Es geht in der Fotografie immer nur um gute Bilder und interessante Geschichten und nicht um Begrifflichkeiten. Wenn eine Geschichte nur inszeniert funktioniert, oder einfach der Drang besteht, neue Pfade zu betreten, sollte diesem Begehren unbedingt nachgegangen werden.

Für das Storytelling spielt es im Übrigen keine Rolle, welcher Ansatz der Street Photography gewählt wird. Entscheidend sind viel mehr relevante Inhalte und tragenden Elemente.

Bei der Planung sind u.a. folgende Aspekte relevant: Worum geht es in der Geschichte? Wo spielt sie sich ab? Wer ist der Hauptakteuer? Sind andere Personen Kulisse oder Teil der Handlung?

Tragende Elemente

Location

Die Wahl des Standorts kann in der Fotografie entscheidend sein. Die Stadt ist immer auch Kulisse. Die urbanen Welten, in denen sich die Menschen Bewegen und in denen sie Leben, tragen eine Geschichte ebenso wie die Menschen selber. Anders formuliert: Es sollte davon Abstand genommen werden in Fußgängerpassagen mittelgroßer deutscher Städte Straßenfotografie zu betreiben. Das wäre belanglos und austauschbar.

Berlin Strassenfotografie

Viel besser eignen sich Orte, jenseits vom Mainstream, die eine interessante Ästhetik bieten, wie etwa Hochhaussiedlungen, Vororte, soziale Brennpunkte, Häuserschluchten oder U-Bahn- Stationen.

Inszenierung

Der gezielte Einsatz von diffusem Licht, Schatten, Regen, Schnee oder Dunkelheit kann eine besondere Atmosphäre erzeugen, die dabei hilft, die Aussage der Geschichte zu unterstreichen.

Hamburg St. Pauli-Street Photography Guide

Es gibt in der Fotografie zudem diverse Möglichkeiten, das Hauptmotiv in den Mittelpunkt zu rücken um störende Elemente auszublenden. Das kann ganz einfach durch das Öffnen der Blende erreicht werden. Hierdurch wird der Hintergrund unscharf und der Betrachter nimmt primär den Protagonisten wahr. Übertrieben werden sollte das Spiel mit der Blende aber nicht, wenn der Hintergrund noch als Kulisse dienen soll bzw. dabei helfen soll die Geschichte zu erzählen. Ein ähnliches Ergebnis kann mit dem Unschärfeeffekt erzielt werden. Wird die Verschlusszeit so gewählt, dass sich bewegende Personen verschwimmen bzw. unscharf werden, rückt erneut der Protagonist in den Mittelpunkt der Betrachtung.

Auslassung

Eine Geschichte muss nicht zu Ende erzählt sein und kann viele Fragen offenlassen. Durch die Auslassung wird Spannung erzeugt und zum Denken, Interpretieren und Diskutieren angeregt. Ein Konzept, dass in Filmen von David Lynch überzeugt, hat auch in der Fotografie seine Berechtigung. Je zweideutiger ein Foto ist, desto intensiver wird der Betrachter über das Foto nachdenken.

Hamburg St.Pauli-Street Photography guide

Die Umsetzung ist recht einfach. Es ist oftmals ausreichend, bestimmte Bildelemente wegzulassen oder eine Person von hinten oder der Seite zu fotografieren. Unweigerlich fragt sich der Betrachter, was eine Person erfreut oder erschreckt oder wohin sie schaut.

Persönlichkeit

Interessante bzw. skurrile Personen bereichern jedes Bild und jede Fotoserie.

Seit ich auf den Straßen dieser Welt fotografiere, suche ich den einbeinigen Piraten mit dem Holzbein, der einen Papageien auf der Schulter trägt und mit einer Frau im Arm in die nächste Kneipe torkelt. Auch wenn ich den Piraten bislang nicht getroffen habe, bin ich auf der Suche nach ihm, immer wieder interessanten Charakteren begegnet.

Berlin Strassenfotografie

Charismatische Personen wirken anziehend und dienen als Eye Catcher.

So banal dieses Rezept klingt, so gut funktioniert es in Fotos. Hier mag die Stadt Frankfurt als Beispiel dienen. Überall vermischt sich Alt und Neu. Bankentürme stehen neben Gründerzeitvillen. Im Bahnhofviertel trennen Fixerstube und angesagte Hipster-Bar nur eine Straßenseite.

In einer solchen Umgebung fällt es leicht eine gute Geschichte zu erzählen. Unweigerlich fragt sich der Betrachter wie das überhaupt sein kann und wie die Menschen vor Ort diesem Widerspruch wahrnehmen.

Fazit

Das Storytelling ist eine tolle Methode um Geschichten zu erzählen. Das Konzept hilft aber auch dabei die eigene Fotografie weiterentwickeln und neue Perspektiven einzunehmen. Dabei spielt es keine Rolle, welche Form von Street Photography bevorzugt wird. Entscheidend ist, wie man Ideen und Konzepte umsetzt, um Bilder zu schaffen, die in Erinnerung bleiben.

Hinweis: Mehrere Streetfotos dieses Blogposts, wurden in Berlin aufgenommen. Wenn du dich für Staßenfotografie aus Berlin interessierst, findest du hier mehr Bilder.